Donnerstag, 2. Dezember 2010

[Theater] Dr. Sommer meets Wedekind - "Frühlings Erwachen" in den Kammerspielen

Draußen der "überraschende" Wintereinbruch, Kälte und viel Schnee. Drinnen Wärme, Trockenheit und die Aussicht auf einen interessanten Theaterabend bei Frühlings Erwachen. Bei der Generalprobe sollen ja schon Leute gegangen sein und eine ältere Frau fiel wohl in Ohnmacht. Am Stück mit Studentinnen und Studenten des Wiener Max Reinhardt Seminars wird es aber wohl nicht gelegen haben. Frühlings Erwachen war vielleicht ein Skandal, als es 1906 von - wie passend - Max Reinhardt inszeniert in Deutschland uraufgeführt wurde, im Jahr 2010 allerdings kann das alles wohl kaum noch aufregen.

Der Inhalt des Stücks ist, denke ich, weitgehend bekannt. Viele mussten Wedekinds Werk in der Schule lesen und analysieren bis man nicht mehr wusste, was man eigentlich gelesen hat. Ohne großartig ins Detail zu gehen, kann man die Handlung in etwa so zusammen fassen:
Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert: die Jugendlichen Melchior Gabor, Moritz Stiefel und Wendla Bergmann entdecken in einem äußerst konservativen und repressiven Umfeld ihre Sexualität, werden mit Leistungsdruck konfrontiert und scheitern schließlich daran.

[Bild via]
Zur Aufführung in den Kammerspielen, die heute (02. Dezember 2010) offiziell Premiere feiert, könnte man vermutlich einiges sagen. Ich werde meine Besprechung aber eher "impressionistisch" halten, also meine Eindrücke schildern. Ohne Anspruch auf  Vollständigkeit. Ich habe die Voraufführung gesehen, es ist aber anzunehmen, dass sich bis zur Premiere heute Abend nicht mehr wirklich etwas ändern wird.

Vorweg möchte ich sagen, dass alle Schauspielerinnen und Schauspieler (auch die des Max Reinhardt Seminars) gute und solide Leistung bringen. Sie alle spielen ganz ordentlich, auch wenn sie mich nicht gerade vom Hocker gerissen haben. Die beiden besten Freunde Melchior und Moritz werden von Felix von Bredow und Christian Erdt gespielt, als Wendla ist Lilian Amuat zu sehen. In weiteren Rollen spielen Laurenz Laufenberg (Ernst), Béla Bufe (Hänschen), Hilde Dalik (Ilse, wirklich sehr gut!), Johnna Paliege (Martha) sowie Marlena Keil (Thea). Wie schon im Musical gibt es nur zwei Erwachsene: Michou Friesz und Peter Scholz. In den Kammerspielen wird auch der vermummte Herr nicht ausgelassen und von Heiner Stadelmann dargestellt. Vermummt ist er aber nicht, stattdessen trägt er einen sehr gelben Anzug.

Als Kulisse (Bühnenbild und Kostüme von Miriam Busch) dient im Prinzip lediglich ein Kasten, der sowohl Kleiderschrank als auch Heuboden ist und im zweiten Akt ebenso als Bett und Grab dient. An der Wand hängt hin und wieder ein Hut oder auch Blumen, wenn gerade notwendig. Zu sehen gibt es in dieser Hinsicht also nicht viel. Auch im wahrsten Sinne des Wortes nicht. Man sieht die Spielenden nämlich nicht, wenn sie dauernd am Boden sitzen und man als durchschnittlich großer Mensch nicht alle vor einem überragt.
Das Regiekonzept von Stephanie Mohr (Dramaturgie von Katharina Schuster) bleibt mir allerdings verborgen. Dass das Stück mit dem Ende beginnt ist ja nur eine Sache, die man sich bestimmt irgendwie erklären kann. Auf mich wirkte es seltsam. Viel verwirrender waren allerdings die Videoprojektionen. Die Schlussszene am Friedhof wurde zum Teil am Wiener Zentralfriedhof vorab gedreht und dann auf die Wand projeziert, ging dann aber wieder ins Schauspiel auf der Bühne über. Ist ja eine ganz nette Idee um den Eindruck zu verstärken, dass wir uns nun am Friedhof befinden, hätte man aber mit Licht etc. auch geschafft.
Eine weitere Projektion ist zu sehen, wenn Melchior und Moritz eines ihrer Gespräche haben. Zu sehen sind zwei Burschen, die am Friedhof miteinander lachen und spielen. Es werden wohl die beiden sein, die im Programmheft als "Der 14-jährige Melchior" (Simon Morzé) und "Der 14-jährige Moritz" (Skye MacDonald) angegeben sind. Verstanden habe ich das nicht. Denn Melchior und Moritz sind das ganze Stück über um die 14 Jahre alt.
Was mich zum Titel dieses Blog-Eintrags bringt. Dr. Sommer meets Wedekind. Am auffälligsten sind die Einspielungen (auf den Kasten projeziert) der jungen Darstellerinnen und Darsteller, die Briefe vorlesen, die wie direkt aus Bravo kopiert wirken. Nach dem Motto: "Ina (16): Mein Freund und ich hatten schon Sex, aber ich hatte noch nie einen Orgasmus. Ist das normal?" Die "Einsendungen" sind passend zu den darauffolgenden Szenen, unterbrechen für mein Gefühl allerdings den Fluss des Stückes und sind vollkommen überflüssig. Zumindest gibt es im zweiten Akt nur mehr eine solche Dr.-Sommer-Szene.
Vermutlich stellen diese Einspielungen den Versuch dar, das Stück in die heutige Zeit zu transportieren, eine Brücke zu bauen zwischen damals und heute und zu zeigen, dass die Themen auch heutzutage noch aktuell sind (das wird wohl auch der Grund sein, warum im Programmheft aus dem Buch Generation Porno. Jugend, Sex, Internet zitiert wird). Für mich gelingt das nicht. Frühlings Erwachen ist nur beschränkt auch noch heute gültig und man hätte besser daran getan, sich nicht zu sehr zu bemühen unbedingt modern sein zu wollen. Musikalisch kann von ausgehendem 19. Jahrhundert auch keine Rede sein, Cindy Lauper, Violent Femmes oder Charlotte Gainsbourg zum Beispiel sollen wohl auch Moderniät anklingen lassen (und wenn die Musik dann noch dazu so laut ist, dass man die Darsteller kaum versteht, sollte das wirklich noch einmal überdacht werden).

Eine der Schlüsselszenen (Wendla bringt Melchior dazu sie zu schlagen) des Stücks funktioniert einfach nicht. Oder zumindest hat sie an diesem Abend nicht gewirkt. Die Szene beginnt spielerisch. Als Melchior endlich zustimmt sie mit der Gerte (die hier eine Blume ist) zu schlagen, reicht sie ihm lachend immer weitere Pflanzen. Irgendwann sollte die Stimmung aber von lustig auf ernst umschlagen. Tat sie aber nicht. Das Publikum hat weiter gelacht.

Ein wenig seltsam mutet auch an, dass die Selbstbefriedigungsszene von Hänschen ("Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?") mit der Vergewaltigung Wendlas durch Melchior auf dem Heuboden zusammengelegt wird. Im Kasten (Hänschens Zimmer) geilt sich Hänschen an seinen Bildern auf, während Melchior auf dem Kasten (der Heuboden) Wendla bedrängt. Gut, dass sie es nicht abgeschwächt haben (wie im Musical) und die Vergewaltigung eine Vergewaltigung bleibt, aber dieses Parallelspiel nimmt den Ereignissen auf dem Heuboden ihre Ernsthaftigkeit.

Drastisch gekürzt wurde das Zusammentreffen im Weinberg zwischen Hänschen und Ernst, der dadurch zu einer Randfigur wird (oder besser: noch mehr Randfigur ist als bei Wedekind). Besser gelungen ist allerdings das Zusammentreffen zwischen Ilse und Moritz vor dessen Selbstmord. Warum allerdings die anderen Darstellerinnen und Darsteller in moderner Kleidung auf die Bühne kommen und Moritz in einer Reihe in ihre Mitte nehmen bevor er sich erschießt und die Pause beginnt, ist mir immer noch ein Rätsel. 

Ganz allgemein muss ich sagen, dass mir das Gefühl gefehlt hat. Der Funke sprang einfach nicht über. Vielleicht auch einfach, weil ich so oft über einige Dinge irritiert war. Selbstverständlich sind Sprechtheater und Musical nur beschränkt zu vergleichen, ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass sich zumindest ein wenig von der Stimmung eingestellt hätte, die bei Frühlings Erwachen - Das Rock-Musical angekommen ist. Das ganze sollte doch immer noch eine Tragödie sein.

Mein Fazit: Kann man sehen, muss man aber nicht. Der Meinung waren offensichtlich auch Andere an diesem Abend. Die Reihen im Publikum hatten sich nach der Pause deutlich gelichtet.
Im Web:

1 Kommentar:

  1. Danke für den Bericht! Ich geh's am Montag und bin schon sehr gespannt darauf...

    Liebe Grüße,
    Julia

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