Manchmal ist es ganz gut, wenn man schon im
Vorfeld Kommentare und Kritiken
liest. So kann man sich nämlich wappnen und dann erfreut feststellen, dass die
Phantasie viel schlimmer war als das tatsächliche Erlebnis. Sicher, die
konzertante Aufführung von Das Phantom der Oper ist weit davon entfernt
perfekt zu sein, aber es gibt auch viele schöne Momente, die für einiges
entschädigen, was sonst so verbrochen wird.
Die zwei größten Kritikpunkte betreffen die Projektionen
(warum nur habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis, wenn ich das schreibe?) und die
Entscheidung ein Tanzpaar einzusetzen. Im Detail:
--> Die Projektionen (fettFilm): Julia von
Musical Awakening hat es ganz richtig ausgedrückt: Chucky, die Mörderpuppe. Wer
immer auf die Idee gekommen ist, dem Phantom als Symbol (?) diesen grusligen
Kinderkopf zuzuordnen, der irgendwann auch noch seine blutunterlaufenen Augen
zeigt, schmilzt (?) und im Mond erscheint, gehört strafversetzt. In den
Musikantenstadl oder zu einem Rammsteinkonzert, was immer für die Person
schlimmer ist. Ob es viel besser ausgesehen hätte, die Maske einzublenden oder
die Äffchenspieluhr, ist natürlich fraglich. Näherliegend wäre es zumindest
gewesen.
Das Phantom, der Magier, ist auch nicht besser.
Orangefarbene Blitze mögen beeindruckend sein und die Wut des Phantoms in
dieser Situation verdeutlichen. Als Idee irgendwie nachvollziehbar, in der
Umsetzung hingegen mehr: Hey, ich hab die Elektrizität entdeckt. Nikola Tesla
ist nichts gegen mich!
Dann wäre es auch nett gewesen, hätte man die
Chance genutzt zum Verständnis des Stücks beizutragen, wenn man schon unbedingt
Projektionen braucht (braucht man nicht!). Bei "Könntest du doch wieder
bei mir sein" hätte man ruhig einen Friedhof anstatt einer Nebellandschaft
einblenden können.
--> Das Tanzpaar: Ich liebe Ballett, ich würde
mir sofort eine Ballett-Adaption des Buchs/Stücks ansehen, aber das hier. Das
ist weder Fisch noch Fleisch. Es wirkt als hätte man an manchen Stellen mit der
Musik alleine nichts anzufangen gewusst oder eine Lösung für ein paar Szenen
gebraucht, die ohne Kulissen und Requisiten vielleicht eine Herausforderung
gewesen wären und das dann ausgebaut, damit es nicht gar so halbherzig wirkt.
Emma Hunter und Aleksandar Savija tanzen also die Gefühle von Christine und
Phantom. Oder so. Oder sie sind einfach Bühnenhilfe, wenn das Textbuch (hatte das eine Logik, wann es gehalten wurde und wann nicht?) im Weg
ist. Oder sie stehen ein bisschen am Bühnenrand oder in den Logen herum. So
schön sie auch tanzen (und selbst das ist an einigen Stellen diskutabel), das
ist einfach überflüssig. Selbst wenn da tiefere Symbolik dahinter ist (ist
es?), logisch ist die innige Umarmung zwischen Ballett-Phantom und
Ballett-Christine am Ende zum Beispiel nicht. Abgesehen davon ist das ganze
Tanze-deine-Gefühle-Dings absolut unnötig, denn Das Phantom der Oper ist
ein Musical, bei dem wir die Gefühle der Personen aus der Musik, den Texten und dem
Spiel miteinander begreifen können sollten.
Könnte man auch, denn Christian Alexander Müller,
Lisa Antoni und Oliver Arno bringen sehr gute Leistungen. Seit dem Konzert der
Musical Tenors vor zwei Jahren, wollte ich CAM als Phantom sehen, weil er bei
mir mit seiner Interpretation von "Die Musik der Nacht" das Interesse
geweckt hat. Wie schön, dass er diese Erwartung auch erfüllen kann. Ein Genuss
ihm zuzusehen und zuzuhören. So wunderbar das Ende, wenn er gebrochen am Boden
liegt (das ganze Drumherum und den Ausdruckstanz wollen wir jetzt mal großzügig
ignorieren). Er macht das Fehlen der Maske (ist die tatsächlich dermaßen
Copyright geschützt? Warum sie am Ende einbringen?) mit seiner Körpersprache wett, man sieht wenn er sie
"trägt" und wann nicht. Die Szene, in der Christine dem Phantom zum
ersten Mal die Maske runterreißt, ist im Übrigen ziemlich schlecht gelöst. So
weit wie die beiden auseinanderstehen, muss man schon einigermaßen firm sein,
was die Handlung angeht, um das auch gleich zu verstehen. Auch beim zweiten Mal
ist das nicht viel klarer. Zurück zu den Darstellern/Darstellerinnen. Oliver
Arnos Raoul ist ein wunderbarer Gegenpol zum Phantom, die verständnisvolle
Jugendliebe von Christine, die Schulter zum Anlehnen und trotzdem an den
richtigen Stellen wütend. Dass er von Ballett-Phantom im Würgegriff gehalten
wird, ist ... ähm ... lassen wir das. Lisa Antoni (vielleicht hätte man ihr ein
Kleid geben können, in dem sie sich normal bewegen kann) spielt wunderbar mit
den beiden zusammen, auch wenn ihre Anziehung zu Raoul deutlicher herauskommt
als die zum Phantom. "Mehr will ich nicht von dir" am Dach der
Pariser Oper (deren Innenraum in den Projektionen wie das Ronacher aussieht)
ist wunderbar. Da hat man sich auf das Wesentliche konzentriert, die Projektion
zeigt lediglich das Dach und den Mond und ansonsten dürfen wir uns auf die
beiden Personen auf der Bühne einlassen. So wie auch bei "Das Phantom der
Oper". Danke.
Die restlichen Solisten/Solistinnen und das
Ensemble bleiben nicht sonderlich im Gedächtnis, bringen aber durchwegs solide
Leistungen. Lediglich die fragwürdigen Entscheidungen, wie die Wiener
Doppelconférence von Monsieur André (Ramin Dustdar) und Monsieur Firmin
(Reinhard Brussmann), bleiben hängen. Oder dass der Gehenkte von der Bühne
abgeht, das ist natürlich der konzertanten Version zu schulden, aber ich bin
trotzdem überzeugt, dass man das hätte besser lösen können. Ein wenig repetitiv
auch, dass das Phantom immer von unten auftritt. Da hätte ich mir von der Regie
(Andreas Gergen) etwas mehr Abwechslung gewünscht.
Nun, ich hätte mir auch mehr Würdigung für das
Orchester gewünscht, wenn die Konzertreihe schon zu Ehren von 25 Jahren
Orchester der Vereinigten Bühnen Wien stattfindet. Es ist immer schön, wenn die
Musiker und Musikerinnen auch einmal im Mittelpunkt stehen. Das Orchester hat
wunderbar gespielt. N. meint, dass da irgendein Horn verstimmt war, ich hab's
nicht gehört. Beim Schlussapplaus wäre es jedenfalls schön gewesen, wenn das
Orchester einen Moment alleine auf der Bühne bekommen hätte.
Fazit: viel Verbesserungsbedarf, aber dank
Christian Alexander Müller, Lisa Antoni und Oliver Arno sowie dem Orchester
durchaus sehens- und hörenswert.
Meinungen anderer:
Meinungen anderer:
- Musical Awakening: Chucky, die Mörderpuppe oder Das Phantom der Oper - konzertant
- A Year in Theatre: Of Ghosts, Phantoms, Cats and Christmas Markets (am Ende des Beitrags)
- Kultur Channel: Musical Unplugged: Am Gießhübl und weit vom Ronacher entfernt (Kommentar im ersten Absatz)
Da sind wir uns also ziemlich einig. :) Ich musste so lachen bei: "...strafversetzt. In den Musikantenstadl oder zu einem Rammsteinkonzert, was immer für die Person schlimmer ist."
AntwortenLöschenLG, Julia
Ja, sind wir. Schön, dass ich dich zum Lachen bringen konnte. :-)
LöschenLiebe Grüße
Bei der Meinung über die Projektionen kann ich zum Teil übereinstimmen. NICHT allerdings bei den Tanzszenen -ich habe sie genossen und sie haben Appetit auf "MEHR" gemacht - einfach wunderschön.
AntwortenLöschenHat hier irgendjemand vergessen, dass es sich um eine KONZERTANTE Version und nicht um das Musical gehandelt hat?
Ich habe die Vorstellung derartig genossen, dass ich sie nie vergessen werde!
Nein, ich habe durchaus nicht vergessen, dass es sich um eine konzertante Version handelt. Trotzdem finde ich die Tanzsequenzen überflüssig, weil sie von den Darstellern und Darstellerinnen ablenken. Wenn man sich dafür entscheidet, das habe ich oben vergessen zu schreiben, hätte man sich auch mehr trauen müssen. Ballett-Raoul mithineinnehmen. Tatsächlich alle Gefühle der Hauptpersonen auch im Tanz ausdrücken. Nicht nur hin und wieder. Ballett-Christine und Ballett-Phantom nicht für die eingeschobene Ballett-Szene "missbrauchen". So hat es für mich /persönlich/ halbherzig und ein wenig unausgegoren gewirkt. Ich hätte mir eben gewünscht, dass man sich dafür entschieden hätte, die Chance einer konzertanten Version zu nutzen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
LöschenIch habe übrigens vieles ebenfalls genossen und einige Momente waren auch sehr, sehr schön gestaltet.
Freundliche Grüße
Ich habe diese Aufführung fast alle 10 Male gesehen und muss sagen, dass das Tanzpaar einmalig war! Man hat auch ziemlich die besten ausgewählt - Savija hat sogar beim Cirque du Soleil getanzt... Diese beiden als Metapher für Gut und Böse, für Inspiration und Verführung einzubinden, ist eine sehr gelungene Idee. Sicher ist es so, dass sie bei manchen Liedern dem Phantom die Show stehlen. Das hätte eine bessere Choreographie beim Lied "Phantom der Oper" möglicherweise wettmachen können, war aber scheinbar in dieser konzertanten Fassung nicht erwünscht...
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