Dienstag, 4. Dezember 2012

[Konzert] "Das Phantom der Oper" (Ronacher, 03.12.2012)

Manchmal ist es ganz gut, wenn man schon im Vorfeld Kommentare und Kritiken liest. So kann man sich nämlich wappnen und dann erfreut feststellen, dass die Phantasie viel schlimmer war als das tatsächliche Erlebnis. Sicher, die konzertante Aufführung von Das Phantom der Oper ist weit davon entfernt perfekt zu sein, aber es gibt auch viele schöne Momente, die für einiges entschädigen, was sonst so verbrochen wird.
Die zwei größten Kritikpunkte betreffen die Projektionen (warum nur habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis, wenn ich das schreibe?) und die Entscheidung ein Tanzpaar einzusetzen. Im Detail:
--> Die Projektionen (fettFilm): Julia von Musical Awakening hat es ganz richtig ausgedrückt: Chucky, die Mörderpuppe. Wer immer auf die Idee gekommen ist, dem Phantom als Symbol (?) diesen grusligen Kinderkopf zuzuordnen, der irgendwann auch noch seine blutunterlaufenen Augen zeigt, schmilzt (?) und im Mond erscheint, gehört strafversetzt. In den Musikantenstadl oder zu einem Rammsteinkonzert, was immer für die Person schlimmer ist. Ob es viel besser ausgesehen hätte, die Maske einzublenden oder die Äffchenspieluhr, ist natürlich fraglich. Näherliegend wäre es zumindest gewesen.
Das Phantom, der Magier, ist auch nicht besser. Orangefarbene Blitze mögen beeindruckend sein und die Wut des Phantoms in dieser Situation verdeutlichen. Als Idee irgendwie nachvollziehbar, in der Umsetzung hingegen mehr: Hey, ich hab die Elektrizität entdeckt. Nikola Tesla ist nichts gegen mich!
Dann wäre es auch nett gewesen, hätte man die Chance genutzt zum Verständnis des Stücks beizutragen, wenn man schon unbedingt Projektionen braucht (braucht man nicht!). Bei "Könntest du doch wieder bei mir sein" hätte man ruhig einen Friedhof anstatt einer Nebellandschaft einblenden können.
--> Das Tanzpaar: Ich liebe Ballett, ich würde mir sofort eine Ballett-Adaption des Buchs/Stücks ansehen, aber das hier. Das ist weder Fisch noch Fleisch. Es wirkt als hätte man an manchen Stellen mit der Musik alleine nichts anzufangen gewusst oder eine Lösung für ein paar Szenen gebraucht, die ohne Kulissen und Requisiten vielleicht eine Herausforderung gewesen wären und das dann ausgebaut, damit es nicht gar so halbherzig wirkt. Emma Hunter und Aleksandar Savija tanzen also die Gefühle von Christine und Phantom. Oder so. Oder sie sind einfach Bühnenhilfe, wenn das Textbuch (hatte das eine Logik, wann es gehalten wurde und wann nicht?) im Weg ist. Oder sie stehen ein bisschen am Bühnenrand oder in den Logen herum. So schön sie auch tanzen (und selbst das ist an einigen Stellen diskutabel), das ist einfach überflüssig.  Selbst wenn da tiefere Symbolik dahinter ist (ist es?), logisch ist die innige Umarmung zwischen Ballett-Phantom und Ballett-Christine am Ende zum Beispiel nicht. Abgesehen davon ist das ganze Tanze-deine-Gefühle-Dings absolut unnötig, denn Das Phantom der Oper ist ein Musical, bei dem wir die Gefühle der Personen aus der Musik, den Texten und dem Spiel miteinander begreifen können sollten.

Könnte man auch, denn Christian Alexander Müller, Lisa Antoni und Oliver Arno bringen sehr gute Leistungen. Seit dem Konzert der Musical Tenors vor zwei Jahren, wollte ich CAM als Phantom sehen, weil er bei mir mit seiner Interpretation von "Die Musik der Nacht" das Interesse geweckt hat. Wie schön, dass er diese Erwartung auch erfüllen kann. Ein Genuss ihm zuzusehen und zuzuhören. So wunderbar das Ende, wenn er gebrochen am Boden liegt (das ganze Drumherum und den Ausdruckstanz wollen wir jetzt mal großzügig ignorieren). Er macht das Fehlen der Maske (ist die tatsächlich dermaßen Copyright geschützt? Warum sie am Ende einbringen?) mit seiner Körpersprache wett, man sieht wenn er sie "trägt" und wann nicht. Die Szene, in der Christine dem Phantom zum ersten Mal die Maske runterreißt, ist im Übrigen ziemlich schlecht gelöst. So weit wie die beiden auseinanderstehen, muss man schon einigermaßen firm sein, was die Handlung angeht, um das auch gleich zu verstehen. Auch beim zweiten Mal ist das nicht viel klarer. Zurück zu den Darstellern/Darstellerinnen. Oliver Arnos Raoul ist ein wunderbarer Gegenpol zum Phantom, die verständnisvolle Jugendliebe von Christine, die Schulter zum Anlehnen und trotzdem an den richtigen Stellen wütend. Dass er von Ballett-Phantom im Würgegriff gehalten wird, ist ... ähm ... lassen wir das. Lisa Antoni (vielleicht hätte man ihr ein Kleid geben können, in dem sie sich normal bewegen kann) spielt wunderbar mit den beiden zusammen, auch wenn ihre Anziehung zu Raoul deutlicher herauskommt als die zum Phantom. "Mehr will ich nicht von dir" am Dach der Pariser Oper (deren Innenraum in den Projektionen wie das Ronacher aussieht) ist wunderbar. Da hat man sich auf das Wesentliche konzentriert, die Projektion zeigt lediglich das Dach und den Mond und ansonsten dürfen wir uns auf die beiden Personen auf der Bühne einlassen. So wie auch bei "Das Phantom der Oper". Danke.
Die restlichen Solisten/Solistinnen und das Ensemble bleiben nicht sonderlich im Gedächtnis, bringen aber durchwegs solide Leistungen. Lediglich die fragwürdigen Entscheidungen, wie die Wiener Doppelconférence von Monsieur André (Ramin Dustdar) und Monsieur Firmin (Reinhard Brussmann), bleiben hängen. Oder dass der Gehenkte von der Bühne abgeht, das ist natürlich der konzertanten Version zu schulden, aber ich bin trotzdem überzeugt, dass man das hätte besser lösen können. Ein wenig repetitiv auch, dass das Phantom immer von unten auftritt. Da hätte ich mir von der Regie (Andreas Gergen) etwas mehr Abwechslung gewünscht.

Nun, ich hätte mir auch mehr Würdigung für das Orchester gewünscht, wenn die Konzertreihe schon zu Ehren von 25 Jahren Orchester der Vereinigten Bühnen Wien stattfindet. Es ist immer schön, wenn die Musiker und Musikerinnen auch einmal im Mittelpunkt stehen. Das Orchester hat wunderbar gespielt. N. meint, dass da irgendein Horn verstimmt war, ich hab's nicht gehört. Beim Schlussapplaus wäre es jedenfalls schön gewesen, wenn das Orchester einen Moment alleine auf der Bühne bekommen hätte.

Fazit: viel Verbesserungsbedarf, aber dank Christian Alexander Müller, Lisa Antoni und Oliver Arno sowie dem Orchester durchaus sehens- und hörenswert.

Meinungen anderer:

5 Kommentare:

  1. Da sind wir uns also ziemlich einig. :) Ich musste so lachen bei: "...strafversetzt. In den Musikantenstadl oder zu einem Rammsteinkonzert, was immer für die Person schlimmer ist."

    LG, Julia

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    1. Ja, sind wir. Schön, dass ich dich zum Lachen bringen konnte. :-)

      Liebe Grüße

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  2. Bei der Meinung über die Projektionen kann ich zum Teil übereinstimmen. NICHT allerdings bei den Tanzszenen -ich habe sie genossen und sie haben Appetit auf "MEHR" gemacht - einfach wunderschön.
    Hat hier irgendjemand vergessen, dass es sich um eine KONZERTANTE Version und nicht um das Musical gehandelt hat?
    Ich habe die Vorstellung derartig genossen, dass ich sie nie vergessen werde!

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    1. Nein, ich habe durchaus nicht vergessen, dass es sich um eine konzertante Version handelt. Trotzdem finde ich die Tanzsequenzen überflüssig, weil sie von den Darstellern und Darstellerinnen ablenken. Wenn man sich dafür entscheidet, das habe ich oben vergessen zu schreiben, hätte man sich auch mehr trauen müssen. Ballett-Raoul mithineinnehmen. Tatsächlich alle Gefühle der Hauptpersonen auch im Tanz ausdrücken. Nicht nur hin und wieder. Ballett-Christine und Ballett-Phantom nicht für die eingeschobene Ballett-Szene "missbrauchen". So hat es für mich /persönlich/ halbherzig und ein wenig unausgegoren gewirkt. Ich hätte mir eben gewünscht, dass man sich dafür entschieden hätte, die Chance einer konzertanten Version zu nutzen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

      Ich habe übrigens vieles ebenfalls genossen und einige Momente waren auch sehr, sehr schön gestaltet.

      Freundliche Grüße

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  3. Ich habe diese Aufführung fast alle 10 Male gesehen und muss sagen, dass das Tanzpaar einmalig war! Man hat auch ziemlich die besten ausgewählt - Savija hat sogar beim Cirque du Soleil getanzt... Diese beiden als Metapher für Gut und Böse, für Inspiration und Verführung einzubinden, ist eine sehr gelungene Idee. Sicher ist es so, dass sie bei manchen Liedern dem Phantom die Show stehlen. Das hätte eine bessere Choreographie beim Lied "Phantom der Oper" möglicherweise wettmachen können, war aber scheinbar in dieser konzertanten Fassung nicht erwünscht...

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